next up previous contents
Next: Substanzielle EinheitUp: Der Mensch: das undeutliche Previous: Der Mensch: das undeutliche

Menschen und Substanzen

 In der sechsten Meditation spricht Descartes von sich (me) nicht mehr nur als von einem reinen, unsterblichen Geist.
Es ist offensichtlich, dass mein Körper, oder besser gesagt ich als Ganzer, sofern ich aus Körper und Geist zusammengesetzt bin, verschiedene angenehme und unangenehme Einflüsse von Körpern erfahren kann.gif
Hierzu sind zwei Fragen zu stellen. Erstens scheint die Stelle in einem Widerspruch zu derjenigen aus der zweiten Meditation zu stehen, in der Descartes festgestellt hatte, er, das ego, sei ,,genau genommen nur ein denkendes Ding``.gif Zweitens fragt sich, was hier anderes mit dem ego gemeint sein könne. Ist es auch eine Substanz, da doch Descartes das ego als Substanz bezeichnet hatte?Die Formulierung aus der zweiten Meditation hatte bereits Gassendi kritisiert.gif Descartes antwortet ihm Jahre später mit einer überraschenden Erläuterung:
Solange die Seele an der Existenz aller materiellen Dinge zweifelt, kann sie sich nur in abgeschnittener Weise (præcise tantùm), als eine immaterielle Substanz, erkennen.gif
Zu präzisieren, unterstellt Descartes hier, kann auch einen Verlust bedeuten. Descartes gebraucht præcise in ähnlicher Weise wie distincte: Es steht für eine Trennung.gif Das lateinische præcidere bedeutet sogar in erster Linie: abschneiden, abschlagen, entziehen. Dass das ego, genau genommen, ein denkendes Ding sei, bedeutet gleichsam, dass es in einem verstümmelten Sinn nur ein Denkendes sei. In einem Brief an Clerselier schreibt Descartes ebenfalls:
Ich habe an einer Stelle gesagt, solange die Seele an der Existenz aller materiellen Dinge zweifle, kenne sie sich nur in abgeschnittener Weise, præcise tantùm, als eine immaterielle Substanz. Und sieben oder acht Zeilen weiter habe ich geschrieben, um zu zeigen, dass ich keine vollständige Ausschließung oder Negation [der Körperlichkeit] meine, sondern nur eine Absehung von den materiellen Dingen, dass man dennoch nicht darüber versichert sein solle, dass nichts an der Seele körperlich sei, auch wenn man darüber nichts weiß. Man behandelt mich [nun] so ungerecht, dass man den Leser überzeugen will, ich hätte den Körper ausschließen wollen, indem ich præcise tantùm sage. Und dann [sagt man,] dass ich mir daraufhin widersprochen habe, wenn ich sage, ich wolle ihn nicht ausschließen.gif
Descartes betont hier, das ,nur` bedeute nicht, dass die Seele nur oder ausschließlich unkörperlich sei. Vielmehr ist die Seele nur in abgeschnittener Weise unkörperlich.gif Die Stelle aus der zweiten Meditation, in der Descartes am deutlichsten zu sagen scheint, das meditierende ego sei genau genommen nichts als ein Denkendes, ist also noch in anderer Hinsicht mehrdeutig. Sie kann auch so gelesen werden, dass das ego ein Denkendes ist, wenn man es nichts als genau nimmt. Das præcise tantùm res cogitans wäre dann nicht mit ,präzise nur ein denkendes Ding` zu übersetzen, sondern mit ,nur präzise ein denkendes Ding`.gifWas Descartes in der sechsten Meditation dann tut, ist, wieder weniger präzise über das ego zu sprechen. Einen Begriff nicht ausschließlich präzise zu verwenden, bedeutet aber, ihn nicht klar und deutlich zu verwenden. Denn Klarheit und Deutlichkeit besteht in der Beschränkung auf das Präzise. Ich werde hieraus schrittweise ein Argument gegen die Annahme entwickeln, der Mensch als ganzer sei eine Substanz.
next up previous contents
Next: Substanzielle EinheitUp: Der Mensch: das undeutliche Previous: Der Mensch: das undeutliche

 
 
 
 
areas of Interest
publications
courses
 
 
 
 
master thesis
PhD thesis
habilitationsschrift
 
 
 
 
 
links
hennig.de
grecore.de
 
hosted by
manitu.net